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Ein Kontinent im Umbruch

Über den Machtkampf in Venezuela

In Venezuela findet ein Machtkampf statt, bei dem es nicht um Demokratie, sondern ums Erdöl geht. Nachdem in den vergangenen Jahren die linken Bewegungen Südamerikas bei Wahlen Niederlagen einstecken mussten, wittern die USA die Chance, ihren Einfluss in der Region zu vergrößern und jenen Chinas und Russlands zurückzudrängen. Viel wird davon abhängen, wie sich Brasilien verhalten wird. 

In Venezuela geht der Machtkampf weiter. Der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaido wurde vom Obersten Gerichtshof des Landes mit einer Ausreisesperre belegt, während der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton Nicolas Maduro, den amtierenden linksgerichteten Präsidenten Venezuelas warnte, Guaido „etwas zuleide zu tun“. Zuletzt hatte Bolton für Aufsehen gesorgt, als er einen Notizblock mit sich trug, auf dem der handgeschriebene Vermerk „5.000 Soldaten nach Kolumbien“ zu lesen war. Weil Kolumbien ein Nachbarland Venezuelas sowie der wichtigste Verbündete Washingtons in Lateinamerika ist, wurden bereits Spekulationen über eine US-Intervention zum Sturz Maduros laut.

Und Bolton war es auch, der – von vielen Beobachtern kaum beachtet – am 1. November 2018 eine stärkere Hinwendung der USA nach Lateinamerika ankündigte. Bolton sprach in Miami im Bundesstaat Florida, wo besonders viele Exil-Kubaner leben, von einer „Troika der Tyrannei“, der Kuba, Nicaragua und Venezuela angehörten: „Diese Troika der Tyrannei, die sich von Havanna über Caracas nach Managua erstreckt, ist der Grund für immenses menschliches Leid, die Triebkraft einer gewaltigen regionalen Instabilität und die schmutzige Wiege des Kommunismus in der westlichen Hemisphäre“.

Bolton, ein außenpolitischer Falke und einer der Architekten des völkerrechtswidrigen US-Überfalls auf den Irak im März 2003, kündigte nicht nur weitere Sanktionen gegen die genannten Länder an, sondern drohte ihnen auch: „Unter dieser Regierung werden wir nicht länger Diktatoren und Despoten in der Nähe unserer Küsten Zugeständnisse machen. (…) Wir werden für die Unabhängigkeit und Freiheit unserer Nachbarn eintreten. Und dieser Präsident, und seine gesamte Regierung, wird auf der Seite der Freiheitskämpfer stehen.“ Schließlich sagte der Nationale Sicherheitsberater: „Die Vereinigten Staaten freuen sich darauf zu sehen, wie jede Ecke dieses Dreiecks einstürzt, (…) Die Troika wird zerfallen.“

Besonders aufschlussreich ist Boltons ausdrückliche Bezugnahme auf die „westliche Hemisphäre“. Damit wird deutlich, dass für die neokonservativen Falken in Washington die Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823, die die Vormachtstellung der USA auf dem amerikanischen Doppelkontinent postuliert, wieder mehr an Gewicht gewinnt. In dieser Doktrin , die unter dem Schlagwort „Amerika den Amerikanern“ bekannt ist, erklärte vor beinahe 200 Jahren Präsident James Monroe: „Wir werden jeden Versuch (der europäischen Mächte), ihr System auf irgendeinen Teil dieser Hemisphäre auszudehnen, als gefährlich für unseren Frieden und Sicherheit betrachten.“

Im Jahr 2019 durchkreuzen freilich nicht die Europäer die Pläne der USA in Lateinamerika, sondern Russland und China. Peking etwa plant die Errichtung eines Nicaragua-Kanals, der Atlantik und Pazifik verbinden soll. Auch wenn dieses Projekt zuletzt wegen Finanzierungsproblemen ins Stocken geriet, haben die USA kein Interesse, dass sich die Chinesen gewissermaßen vor ihrer Haustür festsetzen. Somit überrascht es nicht, dass China, aber auch Russland, im inner-venezolanischen Machtkampf Maduro unterstützt. Der US-Sender CNBC spricht sogar von einer „neuen geopolitischen Spannungsfront“ zwischen den USA und Russland, die sich in Venezuela eröffnet hat, und zieht einen interessanten Vergleich mit Syrien: „Russland gab in einem vielschichtigen Bürgerkrieg, der 2011 begann, seine militärische, finanzielle und diplomatische Unterstützung dem umstrittenen Präsidenten Baschar al-Assad. Unterdessen unterstützten die USA und ihre westliche Verbündeten einen Regimewechsel und verschiedene Rebellengruppen, die Assad von der Macht vertreiben wollten (...). Der Bürgerkrieg in Syrien wurde hauptsächlich als eine Schlacht um Einfluss im Nahen Osten gesehen, bei der Russland darauf erpicht war zu verhindern, dass ein weiterer Verbündeter in die amerikanische Einflusssphäre gerät. Russland wird nun großteils zugute geschrieben, dass Assad an der Macht bleiben konnte. Nun gibt es im erdölreichen Venezuela einen Kampf um die Führung, bei dem die USA einen Regimewechsel unter Oppositionsführer Guaido unterstützen, und Russland den sozialistischen Diktator Maduro.“

Beim Venezuela-Konflikt geht es also um geopolitische Einflusszonen sowie um Erdöl. Laut „Faktenbuch“ der CIA verfügt der südamerikanische Staat mit geschätzten 302,3 Milliarden Fass (à 159 Liter) über die weltweit größten Erdölreserven. Und darauf werfen die USA ein begehrliches Auge. Das gab auch Sicherheitsberater Bolton zu, als er in einem Interview mit dem konservativen Sender Fox erklärte: „Es würde schon einen Unterschied machen, wenn wir amerikanische Unternehmen das Öl in Venezuela produzieren lassen könnten. Es wäre gut für Venezuela und das Volk der Vereinigten Staaten.“ Der Wirtschafts-Nachrichten-Agentur Bloomberg zufolge will der selbsternannte Interimspräsident Guaido das Unternehmen Citgo, das „Kronjuwel“ der staatlichen Erdölgesellschaft Venezuelas, PDVSA, unter seine Kontrolle bringen. Unterstützung erhält Guaido von Washington, indem die in den USA befindlichen Auslandskonten der PDVSA eingefroren wurden, womit Maduro die Verfügungsgewalt verliert.

Erdöl bzw. die PDVSA waren im April 2002 auch der Grund für einen Putschversuch gegen Maduros Vorgänger Hugo Chavez. der 2013 verstorbene Chavez, der 1998 auf demokratische Weise an die Macht gelangt war, hatte zuvor die Führungsriege der PDVSA durch regierungstreue Manager ausgetauscht, worauf hin die Opposition mit US-Unterstützung einen Generalstreik anzettelte. Der Generalstab des Militärs ließ Chavez am 12. April 2002 verhaften, jedoch wurden die Putschisten kurz darauf von der Garde des Präsidentenpalastes festgesetzt. Wie die britische Zeitung „The Observer“ enthüllte, führten die Spuren des Putsches zu hochrangigen Vertretern der Bush-Regierung, namentlich zu Elliott Abrams.

Am 25. Jänner 2019 wurde Abrams zum Sonderbeauftragen der US-Regierung für Venezuela ernannt, was vier Tage später die „Washington Post“ zu folgender Feststellung veranlasste: „Während der Präsidentschaft Reagans stand Abrams Mittelpunkt der US-Handlungen, die Menschenrechtsverletzungen zur Folge hatten. Er wurde auch verurteilt, weil er vor dem Kongress im Rahmen der Untersuchungen zur Iran-Contra-Affäre gelogen hatte.“ Die Ernennung Abrams‘ sowie Drohungen mit einer Militärintervention in Venezuela zeigten daher, dass US-Präsident Trump nicht in der Lage sei, dem „interventionistischen Reflex“ innerhalb der US-Regierungen zu widerstehen. Dieser Reflex, so führt das Blatt aus, „basiert auf der Idee, dass die Hemisphäre weiterhin ein Gebiet der US-Hegemonie ist und dass die US-Streitkräfte kleineren Ländern ‚Demokratie lehren‘ könnten, hat die lange Geschichte der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Lateinamerika gekennzeichnet“. Als Beispiel wird der gescheiterte Putschversuch in Venezuela 2002 genannt, der für Washington die unangenehme Nebenwirkung hatte, dass „Chavez rasch seine Macht als anti-imperialistischer Held konsolidieren konnte“. Sollte es dem im Gegensatz zu seinem Vorgänger wenig charismatischen Maduro gelingen, (mit Unterstützung Chinas und Russlands) die gegenwärtige Krise zu überstehen und den USA die Stirn zu bieten, könnte auch er noch zum Helden der Massen – auch über Venezuela hinaus – werden und damit von Problemen wie Korruption und Misswirtschaft ablenken.

Wie auch immer der Machtkampf in Caracas ausgeht, so ist es den vergangenen Jahren den USA dennoch gelungen, ihr politisches Gewicht in Südamerika zu erhöhen. Und zwar nicht durch subversive Tätigkeiten oder gar durch Einmischungen in die inneren Angelegenheiten anderer Ländern, sondern durch demokratische Regierungswechsel in den betreffenden Staaten.

In Argentinien konnte sich im November 2015 bei der Stichwahl um das Präsidentenamt der neoliberale Kandidat Mauricio Macri durchsetzen. Zuvor wurde dieses Land zwölf Jahre lang von den linksgerichteten Peronisten regiert. Mit dem Amtsantritt Macris kam es zu einer deutlichen Verbesserung der Beziehungen zwischen Buenos Aires und Washington. Das betrifft vor allem die Außen- und Sicherheitspolitik, wie Birsen Filip von der Universität von Ottawa in einem Artikel im Juni des Vorjahres erklärte: „Die Macri-Regierung gab der Stärkung der diplomatischen Bande mit Washington auf Kosten der regionalen Zusammenarbeit den Vorrang, was einerseits eine pro-amerikanische Außenpolitik und andererseits die Umsetzung neoliberaler Wirtschaftsreformen zu Hause zur Folge hatte. Das umfasst auch die Unterzeichnung von sicherheits- und verteidigungspolitischen Abkommen zur Zusammenarbeit sowohl mit der Obama- als auch mit der Trump-Regierung, mit welchen den USA die Errichtung von Militärstützpunkten quer durch das Land erlaubt wurde.“ Und die USA machten von dem Recht, Militärbasen in Argentinien zu errichten, auch hinreichend Gebrauch.

Macris Vorgängerin Cristina Fernandez de Kirchner setzte hingegen auf eine Annäherung zu China, insbesondere auf eine Anbindung an Pekings „maritime Seidenstraße“. Vor allem aber war Kirchner, gegen die immer wieder Korruptionsvorwürfe erhoben wurden, klug genug, die Abkommen mit Peking so abzuschließen, dass Argentinien nicht ohne weiters aussteigen kann. Dies muss auch ihr Nachfolger Macri zur Kenntnis nehmen, wie der US-amerikanische Geopolitik-Analyst Andrew Korybko erläutert: „Im Grunde sperrte Kirchner ihr Land in eine strategische Partnerschaft mit China ein, indem sie ungeheuer kostspieligen wechselseitigen Kündigungsklauseln zustimmte, die es für Macri unmöglich machen, dass Argentinien aus den Seidenstraßen-Abkommen aussteigt. (...) Macri hat praktisch keine andere Wahl als an der strategischen Partnerschaft zwischen Argentinien und China festzuhalten.“

Korybko ist auch der Überzeugung, dass das argentinische Modell von Brasilien übernommen werden könnte. Das größte und einwohnerstärkste Land Südamerikas wird seit 1. Jänner von Jair Bolsonaro, der eine dezidiert pro-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik angekündigt hat, regiert. Allerdings ist Brasilien mit China und Russland institutionell im Rahmen der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) verbunden. Die seit 2011 bestehende BRICS-Gruppe, die von China und Russland dominiert wird, verfolgt nicht nur eine politische, sondern auch eine politische Agenda: Die US-Hegemonie soll durch eine multipolare Weltordnung ersetzt werden.

Nun aber scheint Brasilien die US-Hegemonie als weltweites Ordnungsmodell zu bevorzugen. Wenige Tage nach seinem Amtsantritt erklärte Bolsonaro, er sei offen für die Errichtung eines US-Militärstützpunktes in seinem Land. Wörtlich sagte er in einem Interview: „Das hängt davon ab, was in der Welt geschieht. Wer weiß, ob wir diese Frage nicht in der Zukunft diskutieren müssen.“ Klarere Worte – und dabei ganz auf US-Linie – fand Bolsonaro zu Venezuela. Er  meinte, die Unterstützung Russlands für die „Diktatur“ im Nachbarland hätten die Spannungen in der Region deutlich erhöht und seine eine „beunruhigende Entwicklung“. Sollte es zur Errichtung eines US-Militärstützpunktes in Brasilien kommen, wäre dies der erste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Welche Veränderung in den letzten Jahren Südamerika durch die Schwächung des linken, US-kritischen Lagers durchlebt hat, beschrieb kürzlich die „Washington Post“. Demnach hat vor nur einem Jahrzehnt der linksgerichtete brasilianische Präsident Lula da Silva danach gestrebt, die regionale Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten durch den Aufbau von Organisationen wie dem Gemeinsamen Markt des Südens und der Neuen Entwicklungsbank zu stärken.

Schließlich ließ Bolsonaro noch wissen, dass Brasilien nach der „Vormachtstellung hier in Südamerika“ strebt. Doch bei einer Vormachtstellung Brasiliens in Südamerika könnte es durchaus zu Spannungen mit den USA kommen. Auch wenn sich, wie die „Washington Post“  schrieb, „Bolsonaro und Trump gegenseitig bewundern“, hätten die Beziehungen „deutliche Grenzen“. Zwar werde Bolsonaro Trump in Fragen wie Klimaschutz oder Venezuela unterstützen, jedoch sei „unwahrscheinlich, dass er sich andere Themen zu eigen macht, die für Brasilien mehr Risiken bergen, insbesondere die von den USA geführte Kampagne, in der Handelspolitik Druck auf China auszuüben“. So wies Matias Spektor von der Universität Sao Paolo darauf hin, dass, „wenn China entscheidet, sich zu revanchieren und an ihm ein Exempel zu statuieren, die Kosten für Bolsonaro gigantisch sein werden“.

Gerade aber das Verhältnis Brasiliens zu China, das im Zusammenhang mit der BRICS-Gruppe weit mehr als bloß wirtschaftlichen Ausmaßes ist, werden die USA genau beobachten. So weist das Magazin „The National Interest“ darauf hin, dass dieses, wenn wie von Bolsonaro angekündigt, „überdacht“ wird, strategische Auswirkungen haben könnte, die weit über Südamerika hinausgehen könnten. Hier könnte Bolsonaro, wenn er den (wirtschaftlichen) Interessen Brasiliens den Vorrang gibt gegenüber den geostrategischen Interessen der USA, rasch zum Getriebenen werden.

Derzeit finden in Lateinamerika große politische Umwälzungen statt, die weit über die Region hinaus Folgen haben werden. Fest steht, dass in Lateinamerika auch die beiden fremden Akteure Russland und China ein Wörtchen mitzureden haben, nicht aber Europa.

Von Bernhard Tomaschitz, erschienen in "Zur Zeit", Ausgabe 6-7/2019

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